Die politische Arbeit der DIG PKU im Jahr 2021

  • Wir haben schriftlich zu Gesetzentwürfen der Bundesregierung und der Europäischen Kommission Stellung genommen.
  • Wir haben viele Briefe an Politiker und Vertreter anderer Interessenverbände geschrieben und ihnen unsere Meinung zu verschiedenen Themen mitgeteilt.
  • Wir haben den Bundestags-Wahlkampf genutzt und bei vielen Gelegenheiten mit etlichen Bundestagsabgeordneten gesprochen, ihnen Fragen gestellt und sie auf unsere Probleme aufmerksam gemacht.
  • Mit einer Rede vor 16 Mitgliedern des Europäischen Parlaments haben wir die Abgeordneten aufgefordert, bei Europäischen Gesetzgebungen die Bedürfnisse von Menschen mit PKU und verwandten Stoffwechselstörungen zu berücksichtigen.
  • Wir haben an nationalen und internationalen (wissenschaftlichen) Tagungen zum Neugeborenen-Screening, zum Wert frühzeitiger Diagnose und Behandlung der PKU und zur Verbesserung von Versorgung und Forschung im Bereich der angeborenen Stoffwechselstörungen teilgenommen und dort die Sicht der Betroffenen geschildert.
  • Wir nutzen künstliche Intelligenz: Ein internet-basiertes Monitoring-System beobachtet für uns automatisch alle politischen Aktivitäten in Deutschland und Europa. So werden wir noch schneller und besser über aktuelle Entwicklungen informiert.

Wir haben Erfolg: Die Kostenübernahme für Aminosäuremischungen ist endlich gesetzlich geregelt!


Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVW-Gesetz) ist seit diesem Sommer gesetzlich sichergestellt, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Aminosäuremischungen für alle Patienten übernehmen müssen. Auch die Produktauswahl bleibt uneingeschränkt bestehen.


Erinnern wir uns:

  • Im Jahr 2005 wollte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Erstattungsfähigkeit auf das 12. Lebensjahr begrenzen. Auch auf Druck der DIG PKU hat die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt dies nicht zugelassen und stattdessen eine eigene Richtlinie in Kraft gesetzt (eine sogenannte „Ersatzvornahme“).
  • Im Jahr 2007 hat das Bundessozialgericht festgestellt, dass sie damit ihre Kompetenzen überschritten hatte. Der G-BA wurde daraufhin aufgefordert, eine neue Richtlinie zu verfassen und eine Liste der Produkte anzulegen, die von den Krankenkassen bezahlt werden müssen.
  • Seitdem haben wir den G-BA Schritt für Schritt davon überzeugt, dass Betroffene jeden Alters die Aminosäuremischungen brauchen und dass die Versorgung mit der Ersatzvornahme insgesamt gut funktioniert.
  • Im Herbst 2020 hat das Bundesgesundheitsministerium mit dem GVW-Gesetz eine neue Regelung vorgeschlagen, die die Kostenerstattung dieser Produkte durch die gesetzliche Krankenversicherung für alle Patienten sicherstellt.

Daraufhin wurden wir noch einmal besonders aktiv: Wir haben schriftlich zum Gesetzentwurf Position bezogen. Unsere Stellungnahme wurde von verschiedenen medizinischen Fachverbänden und unseren großen Dachverbänden ACHSE und BAG SELBSTHILFE übernommen. Außerdem haben wir viele Politiker in Gesprächen und mit Briefen aufgefordert, dem Gesetz zuzustimmen. Am 11. Juni 2021 hat der Bundestag das neue Gesetz endgültig angenommen.


Wir sind stolz auf diesen Erfolg, den wir ohne die enge Zusammenarbeit und den intensiven Austausch mit vielen medizinischen Fachgesellschaften und Berufsverbänden, Fach- und Pflegekräften, Diätassistent*innen, Ärzt*innen, Wissenschaftler*innen, politischen Entscheidern und vielen anderen, zum Beispiel im Kompetenznetzwerk Enterale Ernährung (www.kn-ee.de), wahrscheinlich immer noch nicht erreicht hätten.


Weitere Themenschwerpunkte unserer politischen Arbeit


Schon seit vielen Jahren beschäftigt die unzureichende Versorgung erwachsener Patientinnen und Patienten nicht nur die DIG PKU. In diesem Jahr konnten wir die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) dafür begeistern, dieses Problem zu einem Schwerpunktthema ihrer zukünftigen politischen Arbeit zu machen. Gemeinsam mit anderen Selbsthilfevereinen in der ACHSE wollen wir so mehr politische Aufmerksamkeit für eine Verbesserung der Versorgungsstrukturen für erwachsene Menschen mit seltenen Erkrankungen wie z.B. Phenylketonurie und anderen angeborenen Stoffwechselstörungen erreichen.


Nicht erst seit der Bundestagswahl wird immer häufiger eine Zuckersteuer gefordert, um Übergewicht, Diabetes und andere Krankheiten zu reduzieren. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen aber, dass viele Lebensmittelhersteller den Zucker in ihren Lebensmitteln durch Aspartam ersetzen, um die Steuer zu umgehen. Da Aspartam Phenylalanin beinhaltet, wird so die Produktauswahl für Menschen mit Phenylketonurie weiter eingeschränkt. In Briefen an Verbände, Institutionen und Politiker*innen fordern wir deshalb, auch Süßstoffe in eine mögliche Zuckersteuer einzubeziehen und so den Austausch von Zucker gegen Aspartam zu verhindern. Außerdem fordern wir niedrigere Steuern z.B. auf Obst und Gemüse, damit die Lebensmittelkosten insgesamt nicht steigen.


Die Pandemie hat die Verwundbarkeit unserer Gesundheitsversorgung offengelegt, z.B. die Abhängigkeit von Lieferketten bei der Versorgung mit Arznei- und Hilfsmitteln. Deshalb will die Europäische Union einige Richtlinien und Verordnungen zur Gesundheitsversorgung überarbeiten. Dazu gehört auch die Richtlinie über Arzneimittel für seltene Erkrankungen („Orphan Drug Regulation“). Zukünftig soll die Entwicklung dieser Medikamente und Therapien stärker gefördert werden, wenn sie einen bisher unbefriedigten medizinischen Bedarf decken. Aber was ist ungedeckter Bedarf? Werden Medikamente für Krankheiten, für die es bereits Therapien gibt, nicht mehr gefördert? Die DIG PKU und ihre europäischen Partnerorganisationen in der ESPKU fordern von der EU eine Definition des Begriffs „ungedeckter Bedarf“, die Menschen mit angeborenen Stoffwechselstörungen wie PKU, für die es bereits Behandlungsmöglichkeiten gibt, nicht vom wissenschaftlichen Fortschritt ausschließt. Dabei werden wir von einer parteiübergreifenden Allianz für PKU im Europäischen Parlament unterstützt, die von unserem Europäischen Dachverband ESPKU koordiniert wird. In der Ausgabe 1/2022 der PHEline wird es einen ausführlicheren Artikel über die Europäische Gesundheitspolitik geben.


Die eiweißarmen Lebensmittel kosten viel Geld. Ende 2020 haben wir über unseren Dachverband BAG SELBSTHILFE zu dem Gesetz zur Erhöhung der Behinderten-Pauschbeträge Stellung genommen. Die Verdopplung der Steuerfreibeträge ab diesem Jahr ist eine wichtige finanzielle Entlastung für die betroffenen Familien. Da Menschen mit niedrigem oder ohne eigenes Einkommen hiervon aber nicht profitieren, fordern wir weiterhin eine Kostenübernahme der wichtigsten Speziallebensmittel durch das Gesundheitssystem.


Nach wie vor vertreten wir die Perspektive der Betroffenen bei der Erstellung medizinischer Leitlinien zur Behandlung der Phenylketonurie und der Tyrosinämie, deren Fertigstellungen nun langsam näher rücken. Solche Leitlinien fassen das aktuelle medizinische Wissen zusammen, wägen Nutzen und Risiken von Behandlungen ab und geben konkrete Behandlungsempfehlungen. Sie sind auch für unsere politische Arbeit wichtig, denn spätestens seit Beginn der Pandemie haben wissenschaftliche Erkenntnisse einen größeren Einfluss auf politische Entscheidungen.


Weitere Themen unserer politischen Arbeit sind z.B. die Bekämpfung von Mangelernährung durch ein gesetzliches Ernährungsscreening und ein besserer Zugang zu ambulanter Ernährungstherapie.


Ausblick


Die zukünftige neue Bundesregierung wird auch in der Gesundheitspolitik neue Schwerpunkte setzen. Auch die Europäische Union wird im kommenden Jahr wichtige und zukunftsweisende Entscheidungen treffen. Dabei finden sehr seltene und ultra-seltene Erkrankungen zunehmend Gehör. In dieser sich schnell verändernden politischen Lage müssen wir uns aktiv dafür einsetzen, die gegenseitige Solidarität unter allen seltenen Erkrankungen zu erhalten. Wir müssen dafür sorgen, dass auch die Bedürfnisse von Menschen mit angeborenen Stoffwechselstörungen von der Gesundheitspolitik wahrgenommen werden. Nur wenn wir uns weiterhin zu Wort melden und an den politischen Entscheidungsprozessen beteiligen, können wir Verschlechterungen verhindern und Chancen für einen besseren und gerechteren Zugang zur Versorgung ergreifen.