Eine hochwertige Gesundheitsversorgung für Erwachsene mit PKU muss genauso wie für Kinder ein vorrangiges Ziel sein

Die Tatsache, dass der Nutzen einer PKU-Behandlung im Kindesalter "eindeutig und unmittelbar" ist, bedeutet nicht, dass eine PKU-Behandlung im Erwachsenenalter nicht von Vorteil ist.


Am 28. Juni feiert die PKU-Gemeinschaft den Internationalen PKU-Tag. In diesem Jahr hat die E.S.PKU entschieden, mit der erfolgreichen Kampagne "Das Leben von Erwachsenen mit PKU" die Aufmerksamkeit auf Erwachsene mit PKU zu lenken. Den ganzen Juni über wurden über die sozialen Medien der E.S.PKU verschiedene Statements zu den Herausforderungen von Erwachsenen mit Phenylketonurie verbreitet.


Da die Phenylketonurie (PKU) bereits im frühen Kindesalter diagnostiziert wird (heutzutage durch das Neugeborenenscreening), wurde sie traditionell als Kinderkrankheit angesehen. Aufgrund der Fortschritte in der Forschung wurde Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre die Notwendigkeit einer lebenslangen Diät für PKU-Patienten erkannt. Diese weithin anerkannte Empfehlung hat sich auf die Behandlungsstandards ausgewirkt, und die PKU-Diät ist seitdem ein Grundpfeiler der Behandlung. Dies hat sowohl die Forschungsgemeinschaft als auch die Patienten selbst vor Herausforderungen gestellt. Wie hoch sollte der optimale Phe-Wert für Erwachsene mit PKU sein? Welche Auswirkungen hat die Phenylketonurie möglicherweise auf das Altern? Wie lässt sich eine sehr restriktive und kostspielige Diät mit den Herausforderungen des täglichen Lebens in Einklang bringen? Was passiert, wenn die Diät gelockert oder nicht eingehalten wird? Dies sind nur einige der Fragen, die sich bezüglich der Versorgung von Erwachsenen mit PKU stellen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass es für Erwachsene besondere Herausforderungen gibt.


Häufig wird von erwachsenen PKU-Patienten über die Schwierigkeiten berichtet, die Ernährungstherapie durchzuhalten und dass sie den Kontakt zur Klinik zu verlieren. Dies und eine Debatte unter Experten über die erforderlichen Behandlungsstandards und PHE-Werte haben in letzter Zeit in der Fachwelt eine Diskussion über die Bedeutung des Therapiemanagements im Erwachsenenalter ausgelöst. In einem Leitartikel im American Journal of Clinical Nutrition haben Robin Lachmann und Mirjam Langeveld kürzlich behauptet, dass die klinische Bedeutung der „subtilen Veränderungen der kognitiven Funktionen“ unklar ist, und dass Studien (mit begrenzter Reichweite) belegen, dass einige der unerwünschten Erscheinungen leicht und vorübergehend sind und sich von selbst zurückbilden [1].


Sie kommen daher zu dem Schluss, dass diese Information "beruhigend für Erwachsene mit PKU ist, die Schwierigkeiten haben, eine eiweißarme Diät einzuhalten und das Gefühl haben, dass sie mit einer hohen Phe-Konzentration normal zurechtkommen". Sie erklären: "Wenn es einen ungedeckten klinischen Bedarf bei PKU gibt, dann sei es der zu versuchen, die Behandlungen für Kinder zu verbessern". Damit suggerieren sie, dass die PKU-Versorgung von Erwachsenen nicht besonders wichtig ist.


Wir sind der Ansicht, dass solche Aussagen angesichts der Belastungen durch die Therapie aus mindestens zwei Gründen gefährlich sind: Erstens wegen ihrer möglichen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und zweitens wegen möglicher politischer Implikationen von vermeintlich objektiven Aussagen.


Der Mangel an Evidenz bei seltenen Krankheiten ist eine der fundamentalen Schwierigkeiten bei deren angemessener Behandlung und wirft wissenschaftstheoretische Fragen auf. Sie ist aber auch eine Ursache für die starke Anfälligkeit in der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Im Zeitalter der evidenzbasierten Entscheidungsfindung sind seltene Krankheiten im Nachteil, wenn es darum geht, den Nutzen ihrer Entdeckung, die Kostenerstattung für die Behandlung oder den Zugang zur Versorgung zu belegen. Die PKU ist in diesem Fall eine Erfolgsgeschichte, wie in der medizinischen Fachwelt allgemein anerkannt wird. Dennoch scheint es, dass sie oft aus einer pädiatrischen Perspektive und auf verschiedenen Ebenen betrachtet wird. Zuerst einmal bedeutet die pädiatrische Ausrichtung der Forschung lediglich, dass es mehr solide Erkenntnisse darüber gibt, wie sich PKU auf die minderjährigen Patienten auswirkt. Diese Ausgangslage ist aufgrund der Geschichte der Erkrankung völlig nachvollziehbar: Um eine Kohorte früh diagnostizierter Erwachsener zu haben, die die Ernährungstherapie einhalten, muss man sich zunächst um die Kinder kümmern. Problematisch wird es, wenn ausgehend von dieser Sachlage Schlussfolgerungen für die ethische und politische Ebene gezogen werden. Aus dem Fehlen von Beweisen für unbedenkliche Phenylalanin-Werte bei Erwachsenen oder nicht schlüssigen Studien über die Auswirkungen hoher Phe-Werte auf das Gehirn Erwachsener können wir nicht folgern, dass es keine ungedeckten medizinischen Bedarfe gibt oder dass diese gering sind. Im Gegenteil, wir argumentieren, dass diese Situation eine Aufgabe für die Forschungsgemeinschaft ist und einen größeren "ungedeckten Bedarf" aufdeckt – den Bedarf an angemessenen Leitlinien für einen erheblichen Teil der PKU-Gemeinschaft. Wenn wir dies nicht tun, gefährden wir ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit. Die Tatsache, dass der Nutzen einer PKU-Behandlung im Kindesalter "klar und unmittelbar" ist, bedeutet nicht, dass es keinen Nutzen für eine PKU-Behandlung im Erwachsenenalter gibt, sondern vielmehr, dass wir unsere Forschungsbemühungen und die Evidenzerhebung intensivieren müssen.


Die Forderung, dass dem ungedeckten Bedarf von Kindern mit PKU Vorrang eingeräumt werden sollte, hebt die pädiatrische Sichtweise auf die Krankheit auf eine neue gesellschaftspolitische Ebene. Der ungedeckte Bedarf ist ein wichtiges Kriterium bei der Bewertung von Gesundheitstechnologien: Je größer der Bedarf, desto größer der Nutzen, desto kosteneffizienter ist die Investition in die Behandlung. Er hat auch Auswirkungen auf die soziale Gleichheit und den Zugang zur Versorgung.


Wenn wir den "ungedeckten Bedarf" bei Erwachsenen herunterspielen, riskieren wir, dass ihr Versorgungsbedarf nicht angemessen berücksichtigt wird. Daher sollten wir hinsichtlich der ethischen Neutralität der an PKU-Patienten durchgeführten Forschung sehr vorsichtig sein, vor allem, wenn es darum geht, Schlussfolgerungen zu ziehen, die über die bloße Evidenz oder deren Fehlen hinausgehen.


Wir sind der Meinung, dass die erwachsene PKU- Patientengruppe mit eigenen Herausforderungen konfrontiert ist, und eine der größten ist, dass die Evidenz in Bezug auf ihre Standardversorgung noch im Entstehen begriffen ist. Dies ist an sich schon ein ungedeckter Bedarf, dem Aufmerksamkeit gewidmet werden muss.


Als eine Vereinigung, die sich für das Wohlergehen von Menschen mit Phenylketonurie und ihren Familien einsetzt, erscheint es mangels solider Evidenz vernünftig, die PHE-Werte für Erwachsene innerhalb der empfohlenen Grenzwerte zu belassen, während die Evidenz gesammelt wird. Darüber hinaus möchten wir die verantwortlichen Entscheidungsträger ermutigen, diese Auffassung zu teilen, um das bestmögliche Behandlungsergebnis für alle PKU-Patienten zu erreichen.


Gleichzeitig sind wir uns der Tatsache bewusst, dass dieses Ziel nur mit dem Beitrag der erwachsenen PKU-Patienten selbst erreicht werden kann. Wir möchten die erwachsenen Patienten auch ermutigen, ihre Sorgen zu äußern und ihre Erfahrungen mit den Experten, Verbänden und Interessengruppen zu teilen. Daher möchten wir den Austausch und die fortlaufende Auseinandersetzung mit PKU-Kliniken und den Entscheidungsträgern fördern.


Hier finden Sie die deutsche Übersetzung der Erklärung:

ESPKU Statement IPKUD2024.pdf

Hier geht es zum englischen Original: https://www.espku.org/2024/06/…is-for-children-with-pku/